Mitglieder tragen die Gewerkschaft

Am 1. Juli haben die Delegierten der Unia Zürich-Schaffhausen die Strategie 2020 verabschiedet und damit den Kurs und die Ziele für die nächsten vier Jahre festgelegt. Gleichzeitig haben sie René Lappert und Lorenz Keller als Co-Leiter der Region vorgeschlagen.

René: Wir haben in den letzten Monaten intensiv mit Mitgliedern und Mitarbeiter:innen diskutiert, was wir in den nächsten Jahren anpacken wollen. Das Resultat ist die Strategie 2020 der Unia Zürich-Schaffhausen. Was ist dir von diesen Diskussionen geblieben? 

Lorenz: Dass ich bei ganz vielem eine grosse Lust spüre, jetzt anzupacken und die Unia vorwärts zu bringen. Jetzt müssen wir diese Lust in konkrete Projekte ummünzen. 

René: Ich fand es wichtig und eindrücklich, dass wir nochmals zurückgeschaut haben. Woher kommen wir? Was hat funktioniert, was nicht? Die, die wie ich schon etwas länger dabei sind, wissen wie stark wir uns in wenigen Jahren verändert haben. Wir sind von fünf ziemlich autonomen Sektionen zu einer Region zusammengewachsen. Und nicht zuletzt haben wir 20 Prozent mehr Mitglieder. Das ist eine riesige Leistung, hat aber auch einen Preis. So viel Veränderung braucht Energie und Zeit zum Verdauen. Dem trägt die neue Strategie Rechnung. In Vielem geht es darum, zu konsolidieren. 

Lorenz: Das tönt jetzt etwas gar zurückhaltend. Ich finde es richtig, dass wir jetzt nicht gleich sagen «Machen wir alles wieder anders, führen wir in der Region wieder eine Sektorlogik ein». Aber wir haben durchaus den Anspruch, uns weiter zu entwickeln und etwas zu erreichen. 

René: Ja, das auf jeden Fall. Wir wollen weiterwachsen, aber das auch in neuen Gebieten, speziell im Dienstleistungsbereich. In der Bewegung stehen etwa im Bau oder in der Industrie Kämpfe um neue Verträge an. Im Gartenbau kämpfen wir weiterhin für einen Gesamtarbeitsvertrag und natürlich ist Lohndumping immer noch ein Thema.  

Lorenz: Und es hat auch Raum,  in der Bewegung neue Sachen ausprobieren zu können, etwa beim Projekt in der portugiesischen Community oder bei Wohnbaugenossenschaften. Auch bei den individuellen Dienstleistungen für Mitglieder wollen wir punkto Qualität einen Schritt weiterkommen. Du bist ein Stück älter als ich, 2019 wirst Du pensioniert. Was willst Du bis dahin noch erleben.

René: Natürlich freue ich mich auf aufregende Bewegungskampagnen und die schönen  Momente, wenn wir etwas verändern können. Was mir aber genauso am Herzen liegt, ist der Bereich Vollzug, also die Kontrolle über die Einhaltung von unseren Gesamtarbeitsverträgen. Leider ist es mit einem Vertragsabschluss nicht getan. Wir müssen sehr genau hinschauen, um zu verhindern, dass Verträge einfach ignoriert werden, und auch um Lohndumping verhindern zu können. In diesem Bereich ist sehr vieles «historisch gewachsen», wie man so schön sagt, und genügt eigentlich den Anforderungen von heute nicht mehr. Wir als Gewerkschaften wollen hier Verantwortung übernehmen, um das ganze Vollzugssystem zu erneuern und besser zu machen. Hier will ich noch ein, zwei grosse Schritte nach vorne kommen. Was ist es bei dir? 

Lorenz: Selbstverständlich mag ich die grossen Bewegungskampagnen wie die Bau-Demos oder Lohndumpingfälle auch sehr. Was mich reizt, ist aber auch hin und wieder vorzupreschen und neue Ideen zu haben und anzupacken. Wieso sollen zum Beispiel nicht alle in Zürich 5‘000 Stutz im Monat verdienen? Oder wieso sollen wir in zehn Jahren nicht doppelt so viele Mitglieder sein wie heute? Ich bin gerne in einer Organisation mit guten Leuten, die nicht Angst bekommen vor solchen Ideen, sondern sich überlegen, wie man das erreichen könnte. Das treibt mich an. 

René: Sehr gespannt bin ich auch auf unsere neue Leitlinie der Strategie «Mitglieder tragen die Gewerkschaft». Das ist der alte Traum der Gewerkschaft, in der Mitglieder wirklich die tragenden Kräfte sind und weder die Mitarbeiter:innen noch die Mitglieder den Anspruch auf Stellvertretungspolitik haben. Das klingt ja nicht ganz neu und auf den ersten Blick auch ganz harmlos. Aber damit setzen wir uns hohe Ziele, wenn die Leitlinie nicht zur hohlen Phrase werden soll. Das muss konkrete Konsequenzen im Alltag haben. 

Lorenz: Sehr einverstanden. Auch wenn es die Arbeit zum Teil schwieriger macht. Wir kennen das aus unserem Alltag, wo es oft hektisch zu- und hergeht. Da sagt man sehr schnell «Das mache ich selber, weil es einfach schneller geht.» Davon müssen wir wegkommen, mit allen Konsequenzen. Dann heisst mitgliedergetragen eben auch, dass etwas nur passiert, wenn Mitglieder tatsächlich auch wollen und machen. Das muss man als Profiapparat auch aushalten. 

René: Das heisst aber nicht, dass die Mitarbeiter:innen nichts mehr zu tun haben. Im Gegenteil, es ist so oft noch anspruchsvoller und ohne den täglichen Einsatz von allen läuft gar nichts. Wir können zum Glück ehrlich sagen, dass wir sehr viele sehr engagierte Mitarbeiter:innen haben. Das war und ist bei allen Schwierigkeiten immer eine Stärke unserer Gewerkschaft. 

Lorenz: Da kann ich mich nur anschliessen. Beim Thema Mitarbeiter:innen kommt auch immer die Rolle der Unia als Arbeitgeberin. Das war für mich auch neu. Ich finde es gut, dass wir explizit in die Strategie aufgenommen haben, dass wir da als Gewerkschaft auch eine Leuchtturmfunktion haben. Wir stehen als Arbeitgeberin im Schaufenster und sagen genau deshalb «Schaut her, man kann es auch so machen.» So haben wir zum Beispiel festgehalten, dass wir auf Leitungsebene eine Geschlechterquote von 50 Prozent einführen, und dass wir Lohntransparenz herstellen. 

René: Wir haben mit den kleinen und grossen Ideen wirklich einiges vor uns. Und wenn ich in der Schweiz und  in der Welt so um mich schaue, braucht‘s die Gewerkschaften und die vielen aktiven Gewerkschaftsmitglieder dringender denn je.